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Land und Leute

Hans Jürgen Scholz


STADT UND LAND   oder   Landausflug  ins  "Brandenburgische"

So eine typische dunkle Nobelkarosse fährt vor, straff in den Mühlenhof.
Die beiden Müllerskinder blicken neugierig und kommen heran.
Ich aber suche die Müllersleute und betrete den zutrittsverbotenen technischen
Betriebsraum.
Die Müllerin blickt irritiert, hatte sie doch meine Auffahrt mit der Staubwolke bemerkt.
Der Müller brummig, werkelt an den Gerätschaften, sieht mich nicht.
Dann meine Wünsche ... und wir kommen tatsächlich ins Gespräch;
oft, wenn Voreingenommenheit herrscht, ein anfänglich schwieriges Fahrwasser.

Nach einer halben Stunde dringt Heiterkeit aus der Mühle,
wir lachen und der Müller hat eine Pranke, die "gott sei dank" zum herzlichen
Abschied nur meine Schulter streift.
Was war geschehen? Vier Beutelchen Mehl kaufte der Stadtmensch mit dem SchönWetterAuto. Schrotmehl, dunkel und hell und Sonnenblumenkerne.
Und wir haben über häusliches Brotbacken, über alte Rezepturen aus Pommern
und der Mark Brandenburg gesprochen und ich machte mir Notizen,
sollte wiederkommen mit meinem Apfelhauswein nach der Herbsternte.

Die Müllerskinder hatten inzwischen mit ihren staubigen Barfußbeinen
das Auto besetzt. Ich soll die Motorhaube öffnen, rufen sie; das Bürschlein mit den Sommersprossen und seine kleine Schwester mit den struppig kurzen Haaren,
soll den Motor erklären und hab doch keine Ahnung.
Ich fahr los.
Zurück bleiben Reifenspuren, tiefe Spuren im Sand des Hofes und ein kleines warmes Erlebnis in einem großen unterkühlten Land.

17. Sept. 2000

PLATTE

Gorbitz oder Prohlis oder ...egal.
Die alte PLATTE stirbt und der Betonstaub liegt wie Asche auf meinem Herzen.
Sechzehn Jahre versinken.
Warum stehe ich heute hier, dieses Schauspiel zu erleben, frage ich mich.
Einmal ostdeutsch, immer ostdeutsch?
Ist es unser Jahrgang und gelebtes Leben, sind es die verletzten Befindlich-
keiten in dieser neuen großdeutschen Zeit?
Meine Frau hat Tränen in den Augen. Ein Bruchstück Beton vom Aufgang
Nr.34 verschwindet in ihrer Handtasche. Abends wird er neben dem Berliner
Mauerbruchstück liegen, in der neuen Wohnung: wieder PLATTE, saniert.
Schlangen häuten sich; ich aber stecke fest wie in gegerbter Haut.

Wir steigen in den KADETT und fahren weiter, in den Kleingarten.
Es ist Sonnabendvormittag und es soll ein schöner Tag werden, meldet das Radio.
Doch ich glaube an nichts mehr.

Dresden, im März 2001

Schon wieder


>Was hör ich da
IHR erweitert den Osten
Klasse -
Und Deutschland wieder voran <
So mein Sohn mit 16-jähriger Geschichte im kahlen Kopf

Er überfliegt meinen Artikel fürs PARLAMENT
Aber sein Kommentar ist >Asche<
Trotzig in seinen geschnürten hohen Schuhen
Um Haupteslänge über mich
Blickt er ins dunkle Gestern

Gott wie es mich fröstelt
Der Horizont ist hausgemacht


"Wir hatten Angst, ihn rauszulassen"

>Stämmig für seine 15 Lebensjahre, ungestüm und unberechenbar<
so eine behördliche Anmerkung.
Aber auch feuchte Augen, wenn er zeitweise unter offiziellen Verschluß kam.
Dann wieder im Rudel durch die nächtliche Neustadt
und eine ZECKE wird vom Fahrrad "geholt"; bleibt liegen, und liegt und träumt im Koma.
"Wir hatten Angst, ihn rauszulassen", so etwa die Hundehalter eines Rottweilers ?
Nein, nein; es sind unsre Nachbarn, Eltern von Michael.
Dresden,  im  März  2001
(nach einem Pressebeitrag)

Post an Hans Jürgen Scholz: hjscholz@t-online.de

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